Ein Blick über den großen Teich

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Amerikanische Feuerwehrmänner, die mit ihren markanten Fahrzeugen zu einem Wohnhausvollbrand ausrücken, dort angekommen sehr risikoreich zur Menschenrettung und Brandbekämpfung vorgehen und für ihre heldenhaften Taten von der Bevölkerung verehrt werden, so präsentieren uns Filme und Serien wie Backdraft oder Chicago Fire den Einsatzalltag amerikanischer Feuerwehren. Doch was machen die amerikanischen Feuerwehrmänner, wenn sie zu einem Wohnhausbrand gerufen werden, welche Einsatztaktiken setzen sie ein und mit welchen Techniken gehen sie zur Menschenrettung und Brandbekämpfung vor?

Ein Teil dieser Fragen wurden vergangenes Wochenende auf den H.O.T Days 2014 in Külsheim beantwortet. Das Team von I.F.R.T International Fire & Rescue Training hat mit dieser zweitätigen Veranstaltung europäischen Feuerwehrleuten einen Einblick in die amerikanischen Brandbekämpfungstaktiken ermöglicht. Neben dem Schwerpunkt „Taktische Brandbekämpfung in den USA“ wurden auch ein Drehleiter-Workshop, ein Atemschutznotfalltraining sowie zwei Seminare für effektive Feuerwehrausbildung angeboten.

V.E.I.S – Ventilieren, Eindringen, Isolieren, Suchen

V.E.S ist eine amerikanische Einsatztaktik zur sicheren und effektiven Menschenrettung und steht für Vent, Enter, Search. Diese Bezeichnung wird häufig aufgrund ihrer vereinfachten Aussprache genutzt, korrekt müsste die Bezeichnung allerdings V.E.I.S lauten.

  1. Vent – Ventilieren
  2. Enter – Eindringen
  3. Isolate – Isolieren
  4. Search – Suchen

Anwendung findet diese Taktik wenn es einen triftigen Grund zur Annahme einer Person in einem bestimmten Zimmer des Gebäudes gibt. Dies kann sein, wenn Bewohner oder Passanten auf eine Person in einem Zimmer hinweisen oder wenn Einsatzkräfte beim Eintreffen eine Person an einem Fenster sehen und diese plötzlich nicht mehr zu sehen ist. Des Weiteren kann eine Lage auf den Aufenthalt von Personen hindeuten: Es ist zwei Uhr morgens, die Rollläden sind geschlossen und ein Auto steht in der Einfahrt. Somit liegt die Vermutung nahe, dass sich Personen in Schlafzimmern aufhalten könnten.

Darstellung möglicher Einstiegspunkte für verschiedene Gebäudestrukturen.

Darstellung möglicher Einstiegspunkte für verschiedene Gebäudestrukturen.

Ist ein Zimmer ausgemacht, beginnt der erste Schritt „Ventilieren“. Dazu wird eine Ventilationsöffnung geschaffen, die gleichzeitig als Einstieg für das Eindringen in den Raum genutzt wird. Häufig bieten sich Fenster für das Ventilieren und Betreten eines Raumes an, allerdings kann auch eine Außentür oder ähnliches genutzt werden. Nachdem die Öffnung geschaffen wurde schaut die Einsatzkraft von außen in den Raum und prüft, ob schon eine Person ausgemacht werden kann und ob die Bedingungen es erlauben, den Raum zu betreten. Anschließend wird mittels sechs Fuß langem Einreißhaken der Zimmerboden auf eine dort liegende Person beziehungsweise auf die Belastbarkeit des Bodens geprüft. Dazu wird mit dem Griff des Einreißhakens über den Boden gewischt und anschließend kräftig aufgestoßen. Ebenfalls wird die Decke auf mögliche Beschädigungen oder Brandausbreitung hin geprüft.

Im Anschluss daran folgt das „Eindringen“ in den Raum. Die Einsatzkraft hakt den Einreißhaken in das Fenster ein, sodass dieser in den Raum ragt. Er dient als Einstiegshilfe und Orientierungspunkt im Zimmer. Dann dringt die Einsatzkraft in den Raum ein: entweder rücklings auf dem Fensterbrett sitzend oder Kopfüber voran in den Raum hinein.

Nachdem nun die Einsatzkraft im Raum ist bewegt sie sich direkt auf die Tür zu, um sie zu schließen, dies entspricht dem Schritt des „Isolierens“. Zeitgleich stellt sich die zweite Einsatzkraft aus dem Trupp mit Wärmebildkamera zum Unterstützen von außen ans Fenster. Ist die Tür schon verschlossen, wird diese wieder geöffnet um die Lage vor dem Raum auf dem Flur zu bewerten. Ebenfalls wird der unmittelbare Bereich direkt vor der Tür abgesucht. Sollte sich dort eine Person befinden, wird diese in den Raum gezogen, um auch diese schnellstmöglich zu retten. Anschließend wird die Tür verschlossen. Ist die Tür offen, wird auch wieder die Lage bestimmt, nach Personen im Türbereich gesucht und anschließend die Tür geschlossen. Sollte auf dem Weg vom Fenster zur Tür eine Person aufgefunden werden, so gibt es zwei Möglichkeiten:

V.E.I.S Einsatzmittel: Leiter, 6-Fuß-Einreißhaken, Halligan-Tool und Wärmebildkamera

V.E.I.S Einsatzmittel: Leiter, 6-Fuß-Einreißhaken, Halligan-Tool und Wärmebildkamera

Ist die gefundene Person ein Erwachsener, wird dieser zunächst liegen gelassen und erst die Tür geschlossen, da das Schließen der Tür die Bedingungen zum Überleben im Raum erhöht. Ebenfalls ist die Rettung eines Erwachsenen anstrengend und schwierig. Ist die aufgefundene Person ein Kind oder Baby, so wird dieses direkt zum Fenster gebracht und der zweiten Einsatzkraft übergeben.

Im letzten Schritt wird das Suchen durchgeführt. Dabei beginnt die Einsatzkraft im Raum die Suche an der Stelle, wo sich am wahrscheinlichsten Personen aufhalten, beispielsweise bei einem Schlafzimmer im Bett. Von dort aus wird der Raum an der Wand entlang abgesucht. Die zweite Einsatzkraft unterstützt von außen mit der Wärmebildkamera die Suche und weist ihm den Weg zum Ausstiegspunkt. Ist der Raum abgesucht und alle Personen gerettet, so verlässt die Einsatzkraft den Raum durch die gleiche Öffnung wie sie den Raum betreten hat. Anschließend wird die ganze Prozedur an einem anderen Raum durchgeführt. Als Einsatzmittel werden bei dieser Taktik eine Leiter, eine Wärmebildkamera, ein Halligan-Tool und ein sechs Fuß langer Einreißhaken genutzt.

Orientierte Suche und Rettung

Eine weitere Taktik zur Personensuche bei Bränden ist das „Oriented Search & Rescue“, die orientierte Suche und Rettung. Diese Taktik lässt sich gut bei Miets- oder Hochhäusern anwenden. Ziel ist es, eine nicht vom Feuer betroffene Ebene sicher und effizient abzusuchen. Dazu geht eine Mannschaft aus mindestens zwei Einsatzkräften zur Personensuche und Menschenrettung vor. Dabei gibt es eine Führungskraft und mehrere Feuerwehrleute. Die Feuerwehrleute sind jeweils mit einem Halligan-Tool ausgestattet, während die Führungskraft einen 6-Fuß-Einreißhaken, eine Wärmebildkamera und einen Feuerlöscher dabei hat.

Kontrolle des Raums durch Führungskraft  mittels Wärmebildkamera

Kontrolle des Raums durch Führungskraft mittels Wärmebildkamera

Die Aufgabe der Führungskraft ist es, mit Hilfe der Wärmebildkamera die Orientierung im Flur zu behalten. Die Aufgabe der Feuerwehrleute hingegen ist das absuchen jeweils eines Raumes auf Personen und gegebenenfalls deren Rettung. Wird nun eine Tür ausgemacht, die von dem Flur abgeht, in dem sich die Einsatzkräfte befinden, so wird diese durch die Einsatzkraft geöffnet. Daraufhin bestimmt die Führungskraft mit Hilfe der Wärmebildkamera die Lage im Raum und gibt diese an seine Einsatzkraft weiter. Mit dem Einreißhaken prüft die Führungskraft die Belastbarkeit des Bodens und die Decke. Anschließend legt sie den Einreißhaken zur Orientierung vor die Tür. Daraufhin betritt die Einsatzkraft den Raum, legt ihr Halligan-Tool neben die Tür sodass es in den Raum hinein ragt und schließt hinter sich die Tür. Die Tür wird geschlossen, damit die suchende Einsatzkraft den Raum schnell und vollständig absuchen kann. Dabei dient das Halligan-Tool zur Orientierung: Trifft die Einsatzkraft nach der Durchsuchung des Raums entlang der Wände wieder an dem Halligan-Tool ein, so ist der Raum vollständig durchsucht.

Ist die Mannschaft größer, so können mehrere Räume parallel abgesucht werden. Dies hängt allerdings stark von der Qualifikation der Führungskraft ab und dem Ausbildungsstand seiner Einsatzkräfte. Sollte eine Person aufgefunden werden, wird diese entlang des Flures gerettet, wobei sich alle Einsatzkräfte mit zurückziehen. Erst wenn die Person in einem sicheren Bereich ist, geht die Mannschaft zur weiteren Suche vor.

Türöffnung und Halligan-Tool

Dritter Ausbildungsinhalt der amerikanischen Taktik war der „Forcible Entry“, die (gewaltsame) Türöffnung mittels Halligan-Tool und Feuerwehraxt. Zunächst wird durch eine Einsatzkraft geprüft, wo die Tür gehalten wird und wo sie nachgibt. Dazu stemmt die Einsatzkraft ihre Schulter und ihren Fuß gegen Tür. Dabei zeigen sich Ansatzpunkte zwischen Tür und Türrahmen, an denen sich die Querschneide des Halligan-Tools ansetzen lässt. Anschließend wird das Halligan-Tool in Richtung Tür gedrückt um einen größeren Spalt zu schaffen. Nachdem nun ein kleiner Spalt zwischen Tür und Zarge geschaffen wurde, wird die Hebelklaue des Halligan-Tools in dem entstandenen Spalt relativ nahe zum Türschloss angesetzt. Eine weitere Einsatzkraft mit einer zum Schlagen geeigneten Axt geht kniend in Stellung um nach Weisung des Halligan-Tool-Führers das Halligan-Tool in den Spalt zu treiben. Für dieses Zusammenspiel werden drei Kommandos genutzt:

  1. Hit – Schlag
  2. Wedge – Keil
  3. Stop – Stop
Richtige Handhabung von Halligan-Tool und Schlagwerkzeug

Richtige Handhabung von Halligan-Tool und Schlagwerkzeug

Die Einsatzkraft mit dem Halligan-Tool hält dieses mit beiden Händen mittig fest um das Verletzungsrisiko zu minimieren. Ebenfalls sollte das Halligan-Tool unter Spannung in dem Spalt angesetzt sein, damit sich die Vibrationen des Schlages nicht auf die Einsatzkraft übertragen. Der Axtführer hält seine Axt ebenfalls mit beiden Händen, wobei eine Hand mindestens eine Handbreit vom Axtkopf am Stiel greift. Die Schläge werden kurz und kraftvoll ausgeführt, wobei die Axt senkrecht zur Querschneide gehalten wird um einen größtmöglichen Schutz des Halligan-Tool-Führers zu gewähren.

Auf dessen Anweisung „Schlag“ wird ein einzelner Schlag ausgeführt. Dies wird solang durchgeführt, bis ein ausreichender Spalt geschaffen wurde. Beendet wird dieser Arbeitsschritt mit dem Kommando „Stop“. Der Halligan-Tool-Führer gibt nun die Anweisung „Keil“, woraufhin der Axtführer seine Axt mit der Schneide voran in den Spalt schiebt, um diesen zu sichern. Nachdem der Spalt gesichert ist, wird das Halligan-Tool mit der Querschneide in den Spalt gesetzt und die Tür durch die Bewegung zur Tür hin vollständig geöffnet. Anschließend fängt der Halligan-Tool-Führer die Tür mit der Querschneide ein und zieht diese wieder zu, sodass zwischen Tür und Zarge nur noch der Stiel des Halligan-Tools befindet. Vorher kontrolliert er aber noch den Raum auf Personen, Feuer, Rauch sowie auf die Raumbeschaffenheit und teilt dies dem Löschtrupp mit.

Die gezeigten Taktiken, wie sie in den USA eingesetzt werden, lassen sich nicht eins zu eins auf Europa beziehungsweise Deutschland übertragen, allerdings können diese mit Anpassungen auch in Europa zum Einsatz kommen. Auf jeden Fall erweitern sie unsere Trickkiste um ein paar Aspekte, die uns situationsabhängig eventuell eine Alternative aufzeigen können.

An dieser Stelle auch ein Kompliment an das Team von I.F.R.T und die Ausbilder von Brothers in Battle LLC für diese wirklich lehrreiche und interessante Veranstaltung und den gelungenen Blick über den „großen Teich“.

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  1. Veranstaltungshinweis H.O.T – DAYS 2016 | feuerwehrleben.de

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