Unfallrettung: Patientenbefreiung mit System (Teil 1)

unfallrettung-dach-entfernen-teaser

Obwohl sich die letzten Jahre im Bereich der Unfallrettung durch ein reichhaltiges Seminar –und Wettkampfangebot viel getan hat, setzen gefühlt 80 % der Feuerwehren bei Verkehrsunfällen auf die Methode „Dach abnehmen“ wenn der Patient achsengerecht aus dem Unfallfahrzeug soll.

Wenn man sich bewusst für diese Befreiungsmethode entscheidet ist alles gut, macht man das aber nur weil man keine andere Möglichkeit auf Lager hat, ist das ein Problem. Denn, das Abnehmen des Daches ist einer der zeitintensivsten Wege den wir wählen können um eine Person aus dem Pkw zu bekommen.

Welche Rettungsrichtungen können wir grundsätzlich nutzen?

unfallrettung-system-feuerwehr-rechts

Um zukünftig mehr Befreiungsoptionen im Kopf zu haben möchte ich ein Schema vorstellen, mit dem man im Einsatz zu mehr Befreiungsalternativen kommt. Ziel ist hierbei, dass man sich die Methoden einfach merken kann und systematisch abarbeitet. Ausgangspunkt ist hierbei immer die Sitzposition des Patienten mit dem Ziel eine geeignete Rettungsrichtung festzulegen.

Sitzt der Patient wie in der Grafik auf der Fahrerseite (in Fahrtrichtung links) haben wir vier mögliche Rettungsrichtungen um den Patienten aus dem Fahrzeug zu bekommen:

  • Links (1)
  • Links hinten (2)
  • Hinten (3)
  • Oben (4)

Die Befreiung nach rechts lasse ich mal weg, da man in diesem Fall über Beifahrersitz und Schalthebel gehen müsste. Nach vorne über die Windschutzscheibe ist auch keine Option, da man den Patienten schlecht übers Lenkrad „klappen“ kann um ihn rausbekommen.

Auf der Beifahrerseite (Fahrtrichtung rechts) sind die Rettungsrichtungen logischerweise genau spiegelverkehrt:

unfallrettung-system-feuerwehr-links

  • Rechts (1)
  • Rechts hinten (2)
  • Hinten (3)
  • Oben (4)

Auch auf der Rücksitzbank kann man die zuvor genannten Rettungsrichtungen anwenden, hier entfällt allerdings die Option links oder rechts hinten da man ja schon am Ende vom Fahrzeug ist.

Welche Rettungstechnik kann man bei welcher Rettungsrichtung nutzen?

Die vier Rettungsrichtungen die wir aufgezählt haben, werden nun mit geeigneten Rettungstechniken kombiniert. Das sieht dann so aus:

  • Rettungsrichtung: Links bzw. Rechts (1) = Rettungstechnik: Tür öffnen oder entfernen
  • Rettungsrichtung: Rechts hinten bzw. Links hinten (2)  = Rettungstechnik: Große Seitenöffnung
  • Rettungsrichtung: Hinten (3) = Rettungstechnik: Rettung über Heckscheibe
  • Rettungsrichtung: Oben (4) = Rettungstechnik: Entfernung des Daches

Wie zeitintensiv sind die Rettungstechniken?

Die Rettungstechniken ergänzen wir zum Schluss noch mit dem Kriterium Zeit. Meine Annahme ist, dass für ein geschultes Team der Zeitaufwand für jede Rettungsrichtung zunimmt. Sprich, die Rettung über die Rettungsrichtung 1 (Rettungstechnik: Tür öffnen/entfernen) ist grundsätzlich schneller als die Rettungsrichtung 4, bei der das komplette Fahrzeugdach entfernen wird.

Zusammengefasst ergibt sich daraus folgende Tabelle:

taktik-verkehrsunfall-tabelle

Die Zeiten in der letzten Spalte haben Symbolcharakter und spiegeln nicht die tatsächliche Rettungszeit wider.

So wendet Ihr das System im Einsatz an

Wie funktioniert nun das Ganze? An der Einsatzstelle prüft Ihr auf welcher Position der Patient sitzt und orientiert Euch in Fahrtrichtung. Dann geht Ihr nacheinander die vier Rettungsrichtungen durch. Erscheint Euch eine als geeignet, wendet Ihr sie an, wenn nicht gehts einen Schritt weiter zur nächsten Rettungsrichtung.

unfall-feuerwehr-erkundung

 

Mit diesem Verfahren ist sichergestellt, dass man sich nicht gleich aufs Dach stürzt sondern sich zuerst mal weniger Zeitintensive Methoden anschauen um den Patienten aus dem Fahrzeug zu bekommen.

Im zweiten Teil dieses Beitrags wollen wir uns dann die Befreiungstechniken im Detail anschauen.

Über den Autor

florian-fastnerFlorian Fastner ist Gründer von feuerwehrleben.de und Feuerwehrmann aus Leidenschaft. Seit seinem Eintritt 1993 in die Freiwillige Feuerwehr Kempten war er in verschiedenen Feuerwehren aktiv und ist dies natürlich immer noch. Daneben tummelt er sich viel im Internet um Neues und Interessantes im Bereich Feuerwehr zu entdeckten. Florian liebt es auf Veranstaltungen und Seminaren sein Feuerwehrwissen zu erweitern und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

3 Kommentare zu Unfallrettung: Patientenbefreiung mit System (Teil 1)

  1. Patrick Weegen // 15. Dezember 2014 um 9:53 // Antworten

    Hallo Florain!

    Mich würde interessieren, wie du daruf kommst, dass die Rettung durch die Heckscheibe länger dauert, als die Rettung über eine große Seitenöffnung?
    Ohne jetzt belastbare Werte zu haben, würde ich behaubten, dass es allein des technischen Aufwands die große Seitenöffnung zu schaffen wegen länger dauert einen Patienten auf diese Weise aus dem Fahrzeug zu holen.
    Die Heckscheibe sollte mittels Federkörner oder im Idealfall öffnen der Heckklappe doch recht zügig entfernt sein.

    Den Einsatz von entsprechendem Material wie CED-System oder Spineboard sehe ich für alle Methoden als Grundsätzlich an.

    Gruß Patrick

    • feuerwehrleben.de // 15. Dezember 2014 um 11:17 // Antworten

      Hallo Patrick,

      vor ca. 2 Monaten hat mir jemand eine große Seitenöffnung in vier Minuten gezeigt. Das war zwar kein aktuelles Auto, aber die Geschwindigkeit hat mich doch beeindruckt. Technisch gesehen ist zwar die Öffnung übers Heckfenster nicht viel langsamer, allerdings ist es doch nicht ganz so einfach den Patienten vom Fahrersitz da sauber rauszubekommen. Das geht dann über die große Seitenöffnung m.E. wieder schneller und einfacher.

      Spineboard oder ähnliches ist m.E. ein Muss. Bim KED-System muss man schauen ob es überhaupt an der Einsatzstelle vohranden ist, wird aus meiner Sicht auch immer weniger. Vor ca. 10 – 15 Jahren hat man viel mit dem KED-System gemacht, die letzten Jahre ist es mir an der Einsatzstelle überhaupt nicht mehr über den Weg gelaufen.

      Schöne Grüße

      Florian

      • Patrick Weegen // 15. Dezember 2014 um 11:22 // Antworten

        OK, 4 Minuten ist ein Wort. Dann dürfte das definitiv schneller sein. Allerdings sollte dann der jeweilige Einsatz- bzw. Abschnittsleiter seine Leute kennen und wissen, ob es so schnell klappt oder nicht.

        Mit KED kann ich bei uns rechnen, da bei uns im Landkreis auf jedem RTW verlastet. Außerdem bringen die HvO aus dem Nachbarort, die bei uns bei VU eigentlich mitalarmiert werden sollten, und unser RW eines mit.

        Gruß Patrick

Schreibe einen Kommentar zu Patrick Weegen Antworten abbrechen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*